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Unsere Geschichte: Gislinde & David Holdsworth

We would like to express our deepest appreciation to Anna-Carina Lieb for providing this extensive translation.
Thank you!

INTRO:

Gislinde Maria Holdsworth heiratete am 23. Juni 1964 David Richard Holdsworth (damals Second Lieutenant der US Army).
Ihre Ehe währte 60 Jahre, 10 Monate und 14 Tage – bis zu Gislindes stillem Abschied am 7. Mai 2025.

Zu diesem Zeitpunkt hatte David bereits 28 Jahre in der Armee gedient und war im Rang eines Obersts der US Army im Ruhestand.

 

Die Aussprache von Gislindes Vornamen:

  • Im Deutschen wird der Name „Gislinde“ – ebenso wie die Kurzform „Linde“ – ganz selbstverständlich und klar ausgesprochen.

  • Die meisten Amerikaner hingegen tun sich mit beiden Varianten schwer. Häufig wird die Kurzform „Linde“ so ausgesprochen, als wäre ein „a“ enthalten – einfach, weil es für sie so klingt.

  • Jedes Mal, wenn sie in eine neue Arztpraxis kam oder in einem Wartezimmer saß, in dem Namen laut aufgerufen wurden, entstand dieser typische, leicht peinliche Moment, wenn jemand versuchte, ihren Vornamen auszusprechen.

  • In der Familie in Deutschland nannten sie alle „Gislinde“.

  • Ihre Töchter sagten einfach „Mom“.

  • Die Enkelkinder riefen sie liebevoll „Oma“ – das deutsche Wort für Großmutter.

  • Ihr Ehemann Dave nannte sie in gemischten Runden meist „Linde“ – und ganz privat oft „Gorgeous“ oder „Babes“.

Teil I: Gislindes Leben – Von der Geburt bis zur Heirat mit Second Lieutenant David R. Holdsworth, US Army

Gislinde Maria Babilon wurde am 1. August 1941 als dritte Tochter von Jakob Babilon und Katharina Babilon (geb. Kieser) in der bayerischen Gemeinde Mömlingen geboren.

Das Datum ihrer Geburt fällt mitten in den Zweiten Weltkrieg. Ihr Vater, Jakob Babilon, war als Sanitäter zur Wehrmacht eingezogen worden und erlebte die Schrecken des Krieges sowohl an der Ostfront (Russland) als auch an der Westfront (Frankreich). Trotz der Umstände schaffte es Katharina, ihn unter großen Gefahren mehrmals zu besuchen. Auch Jakob selbst erhielt einmal Heimaturlaub. (Siehe das Familienfoto: Jakob in Uniform, die kleine Gislinde im Arm ihrer Mutter.). Nach der Landung der Alliierten in der Normandie geriet Jakob in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Mit der Kapitulation Deutschlands wurde er freigelassen und kehrte nach Mömlingen zurück. Dort nahm er sein Handwerk als Maßschneider wieder auf, engagierte sich als Sanitäter in der Freiwilligen Feuerwehr und wurde später sogar in den Gemeinderat gewählt.

 

Die junge Gislinde

Schon als Kind liebte Gislinde den Besuch der St.-Martins-Kirche. Auch wenn sonntags zur Messe meist nur noch Stehplätze zu ergattern waren – wer nicht pünktlich war, musste stehen – ging sie mit Begeisterung dorthin. Die Atmosphäre in der Kirche und auf dem angrenzenden, von Familien gepflegten Friedhof war für sie ehrfürchtig, still und wunderschön – Orte tiefer Verbundenheit.

Später wurde in Mömlingen die größere Corpus-Domini-Kirche errichtet, direkt neben St. Martin. Doch diese neue Kirche konnte für Gislinde nie die besondere Stimmung von St. Martin ersetzen. Sie vermisste dieses Gefühl ihr Leben lang – selbst in vielen der Gottesdienste, die sie später in den USA besuchte. Ausnahmen bildeten nur die feierlichen Christmetten oder die bewegenden Ostergottesdienste unter freiem Himmel – wie etwa am Strand der MacDill Air Force Base in Florida oder auf dem Berg hinter Fort Richardson, Alaska.

Gislinde besuchte die Schule in einem Gebäude direkt neben der St.-Martins-Kirche. Der Weg von ihrem Elternhaus zur Kirche und Schule betrug etwa einen halben Kilometer. So konnte sie nach dem Unterricht am Vormittag nach Hause gehen, um dort zu Mittag zu essen, und rechtzeitig zum Nachmittagsunterricht zurückkehren.

Der Unterricht war nach Geburtsjahrgängen organisiert. Wenn Gislinde später Geschichten über das mitunter chaotische Verhalten an heutigen amerikanischen Schulen hörte, brachte sie ihre Meinung mit Nachdruck zum Ausdruck – und verwies gerne auf ihre eigene Schulzeit als positives Beispiel für Disziplin und Ordnung im Klassenzimmer.

In ihrer Jahrgangsklasse in Mömlingen saßen bis zu 61 Schüler*innen in einem Raum, unterrichtet von Ordensschwestern und Brüdern, die der katholischen St.-Martins-Gemeinde angehörten (siehe Fotos).
Sie sagte oft: „Man hätte eine Stecknadel fallen hören können.“ Kam es doch einmal zu Unruhe – meist durch einen Jungen auf der „Jungsseite“ des Raumes –, wurde dies sofort und konsequent geahndet: mit einem Lineal-Klaps auf die Handfläche. Und: Es gab keine Beschwerden von Eltern.

 

Gislinde lernte schon früh zu kochen, backen, nähen, stricken und häkeln – sowohl zu Hause als auch in der Schule. Es war, als lägen ihr diese Fähigkeiten im Blut.

Nach dem Abschluss der achten Klasse begann sie zu arbeiten – in der Stadt Aschaffenburg, etwa 20 Kilometer von Mömlingen entfernt. Dort fand sie eine Anstellung in einem Herrenbekleidungsunternehmen und war als Hemd-Zusammenlegerin tätig. Täglich pendelte sie zwischen Zuhause und Arbeitsplatz – je nach Tageszeit mit dem Bus oder Zug.

 

Gislindes Vater, Jakob Babilon, war von Beruf Maßschneider – mit einer besonderen Spezialisierung auf hochwertige Herrenwesten. Mit viel handwerklichem Geschick und Sorgfalt fertigte er ganze Chargen davon an, stets in der kleinen Schneiderei in seinem eigenen Zuhause.

Sobald eine Serie fertiggestellt war, übernahm seine Frau Katharina den nächsten Schritt: Mit dem Fahrrad, dem Bus oder auch mit dem Zug brachte sie die Westen zu den regionalen Bekleidungsunternehmen, die die Stücke bestellt hatten.

Ende Juni 1962, besuchte Gislinde gemeinsam mit einer Freundin aus ihrer Arbeitsstelle das Volksfest in Aschaffenburg, direkt am Mainufer gelegen. Gislinde war nicht nur eine begeisterte Tänzerin – sie war sogar preisgekrönte Meisterin des regionalen Rock-’n’-Roll-Tanzwettbewerbs. Ganz gleich, mit welchem Partner sie tanzte – ob der Mann nun die Schritte beherrschte oder nicht – sie konnte jede Bewegung mit Leichtigkeit aufnehmen.  Selbst bei waghalsigeren Figuren wie „über den Kopf“- oder „durch die Beine“-Passagen ließ sie sich mühelos führen – oder übernahm im Zweifelsfall unauffällig selbst das Kommando.

 

Es war auf diesem Volksfest, als Gislinde einem jungen amerikanischen Soldaten begegnete: einem Kadetten der US-Militärakademie West Point namens David Holdsworth. Er hatte gerade sein zweites Jahr an der Akademie abgeschlossen und absolvierte im Rahmen seiner Army Orientation Training (AOT) eine 30-tägige Praxisausbildung als Zugführer einer mechanisierten Infanterieeinheit, die in Aschaffenburg stationiert war.

Mit Unterstützung von Lindes Freundin – die offenbar ein paar Brocken Englisch sprach und sich zuvor schon mit einigen der anwesenden amerikanischen Soldaten unterhalten hatte – wagte David den ersten Schritt: Er ließ sich helfen und bat Linde zum Tanz. Was das Eis endgültig brach: Nach dem ersten Tanz zückte David einen kleinen Berlitz-Sprachführer, blätterte eifrig darin und versuchte dann, die Worte zu formen:
„Möchten Sie mit mir tanzen?“ Gislinde saß inzwischen an einem anderen Biertisch, beobachtete die Szene – und musste herzlich lachen. Sie nahm seine weitere Tanzanfrage gerne an. Schon bald merkte David, dass sie nur wenig Englisch verstand und sprach. Wenn es sprachlich zu kompliziert wurde, übernahm die Freundin – sie war mit der englischen Sprache deutlich vertrauter.
 

Nach Stunden des Tanzens an diesem Abend war klar, dass Gislinde ihren Bus oder Zug zurück nach Mömlingen verpasst hatte. Kurzentschlossen arrangierte sie, die Nacht bei ihrer Freundin in Aschaffenburg zu verbringen. Bevor sie jedoch das Volksfest verließen, bat Dave sie um ein Treffen am nächsten Tag (Samstag) in einem Restaurant. Was sie in diesem Moment genau empfand, lässt sich schwer sagen – aber er war vollkommen hingerissen.

In den verbleibenden Wochen seines AOT-Einsatzes, wann immer Dave nicht im Gelände war und Gislinde nach Feierabend frei hatte, trafen sie sich regelmäßig: in einem kleinen, gemütlichen Café nahe Gislindes Arbeitsplatz und dem Bahnhof. Sie tranken gemeinsam etwas, aßen eine Kleinigkeit und unternahmen anschließend Spaziergänge – durch den nahegelegenen Park, unterhalb des Schlosses oder entlang des Mainufers.

Dave machte ihr nie einen klassischen Heiratsantrag. Er sagte ihr schlicht und mit fester Überzeugung:
„Wir werden heiraten.“

Gislinde hatte zu diesem Zeitpunkt nur eine vage Vorstellung davon, was und wo die United States Military Academy war.
Doch sie begriff, dass es sich um eine militärische Elitehochschule handelte – und dass deren Regeln es strengstens untersagten, dass Kadetten vor ihrem Abschluss heirateten. Ein Verstoß dagegen hätte sogar den Ausschluss aus der Akademie bedeutet. Eine Ehe würde erst nach seinem Abschluss möglich sein – und der war für den 3. Juni 1964 angesetzt, nach dem Ende seines vierten Studienjahres.


Als Daves AOT-Einsatz in Aschaffenburg zu Ende ging und er in die Vereinigten Staaten zurückkehren musste, entschieden sie sich für Briefkommunikation – denn im Hause Babilon gab es kein Telefon.

 

Zum Glück ließ sich Gislinde nicht beirren – auch nicht durch Zweifel aus ihrem Umfeld. Einige Bekannte, darunter sogar ein US-Army-Hauptmann, hatten ihr geraten, sich keine Hoffnungen zu machen: Dave würde nie zurückkommen, hieß es. Und schon gar nicht würde er sie mit nach Amerika nehmen.

Zum Glück hatte Gislinde eine Kollegin, die recht gut Englisch sprach – sie half ihr dabei, Daves Briefe aus West Point zu übersetzen. Und Dave fand seinerseits in seiner Kadettenkompanie einen „Plebe“ (Erstsemester), der gerade Fortgeschrittenen-Deutsch belegte und bereit war, ihm Gislindes Briefe vorzulesen – wobei er taktvoll stoppte, sobald es allzu „romantisch“ wurde. (Was beide damals noch nicht wussten: Dieses Hin und Her mit Übersetzungen und verspäteten Briefen sollte bald zur Gewohnheit werden – insbesondere während Daves späterer Kampfeinsätze in Vietnam und in der Dominikanischen Republik, wo es oft über zwei Wochen dauerte, bis ein Brief überhaupt ankam – in nur eine Richtung).

Während Daves drittem Jahr an der Militärakademie sprachen Gislinde und er über die Möglichkeit, dass er sie während seines Sommerurlaubs in Gislindes Heimatort besuchen könnte. Gislinde kümmerte sich um die Organisation: Ein Familienmitglied sollte ihn vom Flughafen abholen und nach Mömlingen bringen.

Auch die Unterkunft war rasch geregelt: Dave sollte bei ihrer älteren Schwester Resi und deren Ehemann Günter Lieb wohnen – einem internationalen Busfahrer, der mit seiner Frau in einer Wohnung etwa einen halben Kilometer von Gislindes Elternhaus entfernt lebte. Dave wiederum sorgte dafür, dass er mit einem militärischen „Space Available“-Flug (Space A) zur Rhein-Main Air Force Base bei Frankfurt gelangen konnte – dem nächstgelegenen US-Stützpunkt. Dort sollte er abgeholt werden, um die Fahrt nach Mömlingen anzutreten.

Die Dinge liefen wie am Schnürchen: Dave traf endlich Gislindes Familie – und wurde dort wie ein Sohn aufgenommen. Gislinde jeden Tag sehen zu können war für ihn schlichtweg wunderbar.

 

Zurück in West Point, nun in seinem letzten Studienjahr, begannen sie gemeinsam zu planen: Gislinde sollte zur Abschlusswoche („June Week“) anreisen – direkt nach seinem Abschluss am 3. Juni 1964 wollten sie heiraten. Doch was Dave nicht wusste: Es gab Schwierigkeiten mit Gislindes Visum.
Seit Monaten bemühte sie sich beim amerikanischen Konsulat in Frankfurt, aber die Genehmigung ließ auf sich warten – und ein schneller Kommunikationsweg zwischen ihnen bestand nicht.

Während der Abschlussproben an der Militärakademie West Point, nur einen Tag vor der offiziellen Zeremonie, trat ein Army-Major an Kadett Holdsworth heran, reichte ihm einen kleinen Zettel und sagte knapp: „Mr. Holdsworth, rufen Sie diese Nummer an – auf Kosten des Empfängers (collect)!“ Dave wählte die Nummer – und am anderen Ende meldete sich die Sekretärin des US-Senators von Alaska, Ernest Gruening, jenes Senators, der ihm 1959 die Nominierung für West Point ermöglicht hatte. Die Sekretärin erklärte:
„Der Senator ist zurzeit im Ausland, aber er möchte Ihnen herzlich zum bevorstehenden Abschluss gratulieren.“ Dann fragte sie beiläufig: „Wie läuft es bei Ihnen so?“ Dave antwortete offen: „Alles gut – nur habe ich nichts von meiner Verlobten gehört, die eigentlich zur Abschlussfeier und Hochzeit hier sein sollte.“ Daraufhin sagte die Sekretärin in bestem militärischen Ton:
„Warten Sie! Komme wieder!“ und legte auf.

Kurz darauf wurde Gislinde vom US-Konsulat in Frankfurt kontaktiert. Man sagte ihr: „Packen Sie Ihre Sachen, kommen Sie sofort vorbei – wir setzen Sie auf den nächsten Flug.“

 

Doch Gislinde war noch nicht reisefertig, denn ihr Vater hatte gesundheitliche Probleme. Erst am 17. Juni – nach allen notwendigen Vorbereitungen und nach Erhalt des Visums – konnte sie schließlich in ein Flugzeug nach New York steigen. Sie kam noch am späten Nachmittag desselben Tages an. Nach ihrer Ankunft wurde sie ins Haus von Warren Dow in Westwood, New Jersey gebracht – dem damaligen Fechttrainer von West Point. Dort lebte er mit seiner Frau Helena und dem gemeinsamen Sohn Bob. Die Dows waren keine Unbekannten: Alle drei waren ehemalige nationale Meister im Fechten in verschiedenen Disziplinen. Warren und Helena waren zudem Mitglieder des US-Olympiateams von 1938. Dave, der 1964 Kapitän des West-Point-Fechtteams gewesen war, war von den Dows eingeladen worden, bis zur Hochzeit bei ihnen zu wohnen. Als Gislinde ankam, bestand die  Familie Dow darauf, dass bei ihnen wohnen sollte. Sie nahmen sie sofort herzlich auf – und Gislinde blieb bei ihnen, bis Dave später zur 82. Luftlandedivision (82nd Airborne Division) nach Fort Bragg, North Carolina versetzt wurde. Die Dows schlossen Gislinde sofort ins Herz – und eine tiefe Freundschaft entstand, die bis zum Lebensende aller drei Familienmitglieder andauerte.

Am Tag nach Gislindes Ankunft begannen die
Hochzeitsvorbereitungen im Eiltempo.

Es galt, innerhalb kürzester Zeit alles Nötige zu organisieren – darunter ein Bluttest (damals eine gesetzlich vorgeschriebene Voraussetzung für Eheschließungen in den USA), das Besorgen eines Brautkleids und ein Treffen mit dem leitenden Militärpfarrer von West Point, um den Ablauf der Trauung durchzusprechen.

Zum großen Glück sprach der zuständige Militärseelsorger – ein lutherischer Oberst der US-Armee – Deutsch.
Er konnte Gislinde alle Details der bevorstehenden Trauung in der Cadet Chapel von West Point erklären.

Fünf Tage später heirateten Gislinde und Dave in der beeindruckenden Cadet Chapel – einem wahren Monument aus Stein und Glas. (Siehe dazu die Fotos des imposanten Innenraums und der Fassade sowie die Aufnahmen der kleinen Hochzeitsgesellschaft). Zu den Gästen gehörten u. a. Mitglieder von Daves Fechtteam, die Familie Dow, und eine enge Freundin von Gislinde aus Deutschland, die zu diesem Zeitpunkt in den USA lebte.

Auch wenn die eigentliche Zeremonie nicht im Hauptschiff, sondern im Chorraum – oben in der Orgelempore – stattfand, sprach die Atmosphäre ganz Lindes Geschmack an:
Sie war erinnert an die vertraute Würde von St. Martin’s, ihrer Kirche in Mömlingen.

Im Anschluss begaben sich die beiden in ganz besondere Flitterwochen: Eine Woche Zelten auf einer kleinen Insel im Lake George, New York – nur über das Wasser in einem undichten Kanu erreichbar. Die Insel verfügte nur über einen einzigen Zeltplatz und war etwa zwei Meilen entfernt von dem Ort, wo sie das Auto parkten, das Kanu mieteten, Lebensmittel einkauften und sich im Rangerbüro anmeldeten, um die Miete für die Insel zu zahlen. Der Ranger war nicht anwesend, doch der Ladenbesitzer sagte gelassen: „Keine Sorge – der kommt später auf der Insel vorbei.“ Und so begann ihr kleines Abenteuer: Dave ruderte, Gislinde schöpfte Wasser – denn: das Kanu war undicht.

 

Kaum auf der Insel angekommen, wirkte Gislinde, als hätte sie ihr ganzes Leben lang nichts anderes getan – mit einer einzigen Ausnahme: Jedes Mal, wenn Schildkröten ihre Köpfe aus dem Wasser streckten, sahen sie für Ginde wie Schlangen aus, die sich der Insel näherten.

 

Die Idylle hielt drei Tage lang, bis Dave beschloss, auf die andere Seite des Sees zu paddeln, um ein paar Vorräte zu besorgen und endlich die Miete für die Insel zu entrichten. Gislinde blieb allein auf der Insel zurück. Der Ranger war nach wie vor nicht erreichbar, also machte Dave sich bald wieder auf den Rückweg – doch ungefähr auf halber Strecke zog plötzlich ein Gewitter auf. Der Wind traf das hochstehende Bugende des Kanus und verwandelte es in ein Segel, wodurch Dave rückwärts paddeln musste, um überhaupt voranzukommen.
Blitze schlugen ringsum ein, und es gab keine Möglichkeit auszuweichen. Er nutzte die windabgewandten Seiten der umliegenden Inseln als Deckung und schlängelte sich mühsam im Zickzack zurück. Für jeden Meter, den er vorwärtskam, trieb ihn der Wind zwei Meter zurück. Während er gegen Wind und Regen kämpfte, stellte er sich nur eines vor:
Wie es Gislinde wohl gerade erging. Als er sich endlich wieder seiner Insel näherte, sah er sie: Gislinde stand da – entschlossen, ruhig – mit einer brennenden Coleman-Laterne in der Hand, die sie schwenkte, um ihm im Dunkeln den Weg zu leuchten. In diesem Moment begriff Dave:
Diese Frau würde in jeder Lage die Kontrolle behalten. Und die kommenden Jahre sollten ihm immer wieder genau das beweisen.

 

Später kam der Ranger dann doch noch vorbei. Als er erfuhr, dass Dave aktiver Berufssoldat war, verzichtete er großzügig auf die Miete für die Insel. Das war eine willkommene Erleichterung, denn das junge Paar lebte hatte finanzielle Limits: Ein neues Auto war zu bezahlen, das reguläre Grundgehalt betrug nur 222,30 US-Dollar im Monat. Ein Zuschlag von 110 Dollar für Gefahreneinsätze (hazardous duty pay) würde erst gezahlt werden, wenn Dave erfolgreich den Fallschirmkurs („Jump School“) absolviert, einer Luftlandeeinheit zugewiesen wird und mindestens alle drei Monate einen Sprung durchführt. Doch das lag noch Monate in der Zukunft.

Zunächst ging es zurück ins Haus der Familie Dow – und dort begann der nächste Lebensabschnitt. Und Gislinde?
Sie würde ihn stets daran erinnern,
wenn er sich dem 3-Monats-Limit für den nächsten Sprung näherte.

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Teil II: Gislindes Leben als Ehefrau eines Berufssoldaten (von den Flitterwochen bis zu ihrem Tod – fast 61 Jahre später)

Weitere Details folgen – gegliedert nach Lebensphasen, jeweils mit Gislindes Rolle in jeder Etappe:

A. [1964] – Erste Vorbereitungen für den Einsatz mit der 82. Airborne Division und Umzug nach Fort Bragg, North Carolina

Während Dave seine Sprungausbildung absolvierte (seine vorherigen drei Kadetten-Trainingssprünge aus fast 1.000 m Höhe in West Point wurden nicht als Teil der Zugangsvoraussetzungen der Division anerkannt), lebte Gislinde bei den Dows in New Jersey und arbeitete in einer chinesischen Wäscherei. Später zogen sie gemeinsam nach Fort Bragg.

 

B. [1965] – Daves Einsatz in der Dominikanischen Republik (Operation Power Pack). Gislinde zog vorübergehend zurück nach Mömlingen, arbeitete danach als ehrenamtliche Helferin des Roten Kreuzes im Krankenhaus in Fort Bragg und kümmerte sich um verwundete Soldaten aus der Operation Power Pack.

 

C. [1966] – Sprachausbildung & erster Vietnam-Einsatz. Dave lernte am Defense Language Institute (DLI) in Monterey, Kalifornien Vietnamesisch. Diese Ausbildung war Vorbereitung für seine bevorstehende Aufgabe als Berater einer vietnamesischen Ranger-Einheit im Kampf gegen Vietcong-Truppen. Während dieser Zeit wurde Dave zum Hauptmann (Captain) befördert. Gislinde begleitete ihn nach Monterey. Als Dave schließlich nach Vietnam entsandt wurde, kehrte sie vorübergehend zur Familie Dow zurück. Wenig später brachte Gislinde ihre erste Tochter, Eileen, zur Welt. Nach der Geburt reiste Gislinde mit dem Baby nach Mömlingen, um bei ihrer Familie zu sein und die restliche Zeit bis Daves Rückkehr zu überbrücken.

 

D. [1967] – Ranger-Schule auf der Eglin Air Force Base in Florida nahe Fort Walton Beach. Dave war Ausbilder, Gislinde machte erste Erfahrungen mit dem Leben in Militärstützpunkten – manchmal beängstigend, manchmal überraschend schön.

 

E. [1969] – Daves zweiter Vietnam-Einsatz führte ihn zur 1st Cavalry Division (Airmobile) – zunächst im ersten Brigadestab, später als Kompaniechef im Dschungel nahe der kambodschanischen Grenze, im Kampf gegen nordvietnamesische Truppen. Später wurde Dave schließlich stellvertretender Operationsoffizier im Divisionsstab. Für Gislinde bedeutete das eine weitere Rückkehr nach Mömlingen – geprägt von Warten und Ungewissheit. Zwischen den Briefen lagen oft zwei oder mehr Wochen. Und wenn Dave mit seiner Einheit im Dschungel war, blieb jede Nachricht aus.

F. [1970] – Rückkehr in die USA, Fort Benning, Georgia. Nach dem Einsatz kehrte Dave in die USA zurück, um den Infanterie-Fortgeschrittenenkurs zu absolvieren. Gislinde und die kleine Eileen zogen nach – und die Familie lebte gemeinsam in den Militärunterkünften auf dem Stützpunkt.

 

G. [1971] - Für zwei Jahre studierte Dave an der Naval Postgraduate School (NPS) in Monterey Operations Research / Systems Analysis. Die Familie lebte in einem gemieteten Haus in Marina, direkt an der Grenze zu Fort Ord. In dieser Zeit brachte Gislinde ihre zweite Tochter, Katya, zur Welt – und wurde US-Staatsbürgerin, während Dave mitten in seinen Abschlussprüfungen war. Zwei Tage nach seinem Abschluss brachen sie gemeinsam auf Richtung Deutschland.

 

H. [1973]  – Nach dem Abschluss wurde Dave für drei Jahre an das Hauptquartier der US Army Europe (USAREUR) in Heidelberg versetzt. Dort war er zuständig für die Konzeption, Durchführung und Auswertung vierteljährlicher Meinungsumfragen unter dem militärischen und zivilen Personal.

Die Familie wohnte in der amerikanischen Siedlung „Patrick Henry Village“ in einem Mehrfamilienhaus mit fünf weiteren US-Familien. Dave wurde zum Major befördert, Gislinde wurde zur Treppenhaus-Koordinatorin – eine Aufgabe, die weit über das Aushängen von Putzplänen hinausging.

 

I. [1976] – Ein Jahr Studium am Naval War College in Newport, Rhode Island bereitet Dave auf höhere Stabsverwendungen vor. Gislinde und die Töchter begleiteten ihn, lebten in Navy-Wohnungen.

 

J. [1977] – Nach dem erfolgreichen Abschluss des Army Inspector General (IG) Lehrgangs in Washington, D.C. wurde Dave zum Assistant Inspector General der US Army in Alaska ernannt. Dienstort: Fort Wainwright – mit Zuständigkeit für alle militärischen Belange nördlich der Alaska Range. Aufgrund seines neutralen Status als externer Prüfer in unabhängiger und unvoreingenommener Instanz wurde Dave zusätzlich für sensible Sonderuntersuchungen im Bereich südlich des Gebirgszugs und sogar innerhalb des Hauptquartiers herangezogen. Für Gislinde war es ein neuer Ort, an dem die Mädchen bei minus 55 Grad Celsius den Schulbus nehmen mussten und wo anfangs die anderen Ehefrauen auf dem Stützpunkt nicht so recht wussten, wie sie mit „der Frau des neuen IG“ umgehen sollten.
Aber sobald das Thermometer „nur“ noch minus 34 Grad zeigte, gings zum Skifahren. Gislinde engagierte sich ehrenamtlich als Rezeptionistin in einer Arztpraxis im Krankenhaus von Fort Wainwright.

 

K. [1979] – Dave wurde zum Executive Officer des 1st Battalion, 60th Infantry Regiment in Fort Richardson, nahe Anchorage, Alaska, versetzt. Sie wohnten in militärischem Wohnraum und Gislinde engagierte sich in der kleinen protestantischen Kirchengemeinde auf dem Stützpunkt. Sie engagierte sich, kochte und servierte Mahlzeiten in der Küche unter dem Kapellenraum, half bei der Weihnachtsdekoration der Kirche und fuhr mit den anderen zum frühmorgendlichen Ostergottesdienst auf den benachbarten Berg. Manche der Freundschaften, die sie dort knüpfte, blieben ihr für den Rest ihres Lebens erhalten. Während dieser Zeit wurde Dave zum Oberstleutnant (Lieutenant Colonel) befördert – ein Meilenstein in seiner Karriere. Kurioserweise führte dies für einen Monat lang zu einer ungewöhnlichen Situation: Zwei LTCs in demselben Bataillon.

 

L. [1980] – Dave wurde zunächst Fachreferatsleiter und später Abteilungsleiter in der Concepts Analysis Agency (CAA) – einer Denkfabrik der US Army, zuständig für die Simulation künftiger Kampfhandlungen in möglichen globalen Krisen- und Kriegsgebieten, vor allem gegen sowjetische und nordkoreanische Streitkräfte.

Ziel war es, anhand von Simulationen zu ermitteln, wie viel und welche Art von Munition in welchem Szenario erforderlich wäre. Die Familie lebte im rund 42 km entfernten Chantilly, Virginia – und Gislinde arbeitet bei einem Arzt in Bethesda mit einem Arbeitsweg von fast einer Stunde pro Strecke. In der Praxis war sie Rezeptionistin, Buchhalterin, Aktenverwalterin, Terminplanerin. Und natürlich: Der Kaffee war immer frisch.

 

M. [198]3 – Dave wurde Referatsleiter im Büro des Deputy Chief of Staff for Operations (G-3) im Pentagon, Washington, D.C.; er war verantwortlich für die Ermittlung und Zertifizierung des weltweiten Munitionsbedarfs der US-Armee, basierend auf den Simulationsergebnissen, die er selbst Jahre zuvor mitentwickelt hatte. Gislinde arbeitete weiter in der Praxis in Bethesda und übernahm alles Notwendige im Hintergrund: Wenn Dave durcharbeiten musste, brachte sie ihm nachts eine frische Uniform und ein Lunchpaket ins Pentagon.

N. [1985] – Dave wurde Gründungsleiter der neu eingerichteten „Research and Analysis Division“ (RAD) im Hauptquartier des United States Southern Command (USSOUTHCOM) in Quarry Heights, Panama. Er wird zum Oberst befördert - und Gislinde zur Meisterin der spontanen Gastfreundschaft. Sie fuhr zur Commissary – und stellte in Windeseile ein vollständiges Menü zusammen, oft für Gruppen von bis zu 20 Offizieren, die sich eben noch am Computer „bekämpft“ hatten. Der Esstisch wurde zum Ort echter Begegnung jenseits politischer Fronten.

Dabei hatte sie keinen Vorlauf, wusste nie, was es zu kaufen gab. Sie musste ihre Pläne anpassen, geriet nie in Panik und hat einfach die Dinge möglich gemacht.

O. [1986] –Dave wurde zum stellvertretenden Leiter der Planungsabteilung (Deputy J5 for Policy) des USSOUTHCOM befördert.
Seine Aufgabe: Leitung der geheimen militärstrategischen Planungen zur möglichen Invasion Panamas zur Entmachtung von General Manuel Noriega.
Zudem verantwortete er die Entwicklung sogenannter „black capabilities“ – hochgeheimer Technologien und Spezialoperationen innerhalb der Special Technical Operations. Die Arbeit war so sensibel, dass Dave in einem abgeschirmten, unterirdischen Lagezentrum (SCIF) arbeitete – zwei Gehminuten vom Wohnhaus entfernt. Manchmal sah Gislinde ihn kaum mehr als zwei Stunden täglich. Sie übernahm die Organisation der Lateinamerikanischen Benefizauktion, um Stipendiengelder für College-Studierende aus der Region zu sammeln. Gislinde besorgte Kunstwerke von lokalen Künstlern, Edelsteine aus Mittelamerika, Spenden von Geschäftsleuten aus Panama und der US-Community. Sie konnte mit ihrer Art fast jedem alles entlocken. Und sie moderierte den Abend gemeinsam mit einem Profi-Auktionator auf der Bühne des Offiziersclubs. Unter den Gästen waren sogar hochrangige Regierungsvertreter aus den USA und dem Ausland.

P. [1988] – Dave wurde erneut in die USA versetzt. Er übernahm die Leitung für die Entwicklung und Durchführung des sogenannten „Joint Mission Analysis“-Prozesses (JMA) beim neu gegründeten United States Special Operations Command (USSOCOM) auf der MacDill Air Force Base in Tampa, Florida.

Gislinde fand eine Anstellung in einer Arztpraxis in Tampa, diesmal in einem größeren Team mit mehreren Kolleginnen und Kollegen. Zwar war sie offiziell Rezeptionistin, aber sie übernahm viele weitere administrative Aufgaben, die sie auch mal mit nach Hause nahm und bis zum nächsten Tag erledigte.  

 

Q. [1992] – Nach Daves Rückzug vom aktiven Militärdienst zogen die beiden zurück nach Alaska. Dave arbeitete zunächst als Lehrbeauftragter an der Chapman University und später als Vollzeit-Dozent im Fachbereich Management an der Alaska Pacific University (APU) in Anchorage.
Er unterrichtete sowohl Bachelor- als auch Masterstudierende und übernahm als Betreuer die Masterarbeiten ausgewählter Absolvent*innen.  Gislinde nahm eine Stelle in einer kleinen Arztpraxis mit nur einer weiteren Mitarbeiterin an. Wie immer war sie Empfangsdame, Aktenführerin, Ansprechpartnerin für Versicherungen, Buchhalterin, Organisatorin – und absolut beliebt bei Kollegen und Patienten zugleich.

R. [1997] – Daves früherer Ranger-Ausbilder, inzwischen im Ruhestand und als Brigadegeneral a. D. in der Privatwirtschaft tätig, wandte sich mit einer Bitte an ihn:
Er wollte Zugang zu Daves Wissen – konkret, um sich mit seiner Firma um einen neuen Vertrag beim USSOCOM zu bewerben, zur Verlängerung des Joint Mission Analysis (JMA) Programms. Was als gelegentliche Beratung begann, wurde schnell zu einer Vollzeitverpflichtung: Dave verließ APU und Anchorage, und gemeinsam mit Gislinde kehrte er zurück nach Tampa, um als militärischer Berater für das United States Central Command (USCENTCOM) und später erneut für USSOCOM tätig zu sein – diesmal auf zivilvertraglicher Basis, und zu einem Vielfachen des früheren Universitätsgehalts.

 

S. [2011] – Wirklich letzter Ruhestand – zunächst in Tampa, Florida, dann ab 2020 in ihrem neu gebauten Haus im Orange Park Country Club.

Was sich durch alle Lebensphasen Gislindes hindurch zog: Sie blieb unerschütterlich und fasste sich schnell, ganz gleich, welche Herausforderungen das Leben bereithielt. In traurigen Momenten – etwa bei den Beerdigungen ihres Vaters, ihrer Mutter und ihrer Schwestern – konnte sie weinen, doch sie verlor nie die Fassung, nie die Kontrolle. Eine einzige Ausnahme bildete das Ende von Phase R, als sich Daves Gesundheitszustand drastisch verschlechterte. Die Situation wurde komplex und belastend. Zum ersten Mal fühlte sich Gislinde überfordert und wandte sich an liebe Freunde und Nachbarn, um Unterstützung zu bitten.
 

Sie bauten sich ein Haus im Orange Park Country Club, direkt neben dem Haus ihrer Tochter Katya, und begannen damit, regelmäßig die protestantischen Gottesdienste auf dem Gelände der Naval Air Station Jacksonville zu besuchen.

Doch ganz unerwartet traf das Militär eine neue Entscheidung: Da diese Gottesdienste größtenteils von Ruheständlern besucht wurden, wurde die Unterstützung für deren Durchführung eingestellt. Die Militärseelsorger wurden angewiesen, ihre Gottesdienste nur noch für aktive Soldat*innen anzubieten.

Tochter Eileen, die erst kürzlich von Wisconsin in ein Stadthaus in Oak Leaf Plantation gezogen war, hatte zuvor die Argyle Church of Christ besucht – und empfahl sie ihren Eltern.

 

Gislinde und Dave folgten dieser Empfehlung – und fanden eine Gemeinde voller Herzlichkeit und Wärme.
Zwar ähnelte das Kirchengebäude weder der St.-Martins-Kirche in Mömlingen noch der ehrwürdigen Kadettenkapelle in West Point,
aber die liebevolle Atmosphäre machte es zu genau dem richtigen Ort für sie.

Zusätzliche Details

Phase A: Nach den abenteuerlichen Flitterwochen auf der kleinen Insel im Lake George, kehrten Gislinde und Dave zunächst zurück ins Haus der Familie Dow bei Westwood, New Jersey.  Während dieser Zeit half Dave gemeinsam mit Bob Dow bei der Garten- und Landschaftsgestaltung für einen Nachbarn, der ein Landschaftsbauunternehmen besaß.

Linde unterstützte währenddessen Helena Dow im Haus.  

 

Als Dave der Familie Dow mitteilte, dass er bald nach Fort Benning, Georgia müsse – zur Fallschirmspringerausbildung („Jump School“) und zur Ranger School –,
war für die Dows sofort klar:
Gislinde sollte auf keinen Fall woanders wohnen, solange Dave in Ausbildung war bis zu dem Zeitpunkt, an dem er Mitte Dezember 1964 seinen Dienst bei der 82nd Airborne Division in Fort Bragg, North Carolina, antreten musste.

 

Dave wusste nichts von dem, was nun folgen sollte – und gab auch keine ausdrückliche Zustimmung dazu.

 

Nachdem er abgereist war, beschlossen die Dows – Bob und Helena –, gemeinsam mit Linde und einer Freundin der Familie namens Irene eine Reise quer durch die USA zu unternehmen – in ihrem Cadillac.
Irene, eine mehrsprachige Juristin beim polnischen Konsulat und gleichzeitig eine Weltklasse-Fechterin, war eine enge Bekannte der Familie.  Die Idee war, dass Linde auf dieser Reise ihr Englisch verbessern würde. Doch als sie nach Wochen zurückkehrten, sprach plötzlich jeder ein bisschen Deutsch.  Allerdings mussten sie militärische Einrichtungen der USA meiden, da Irene als Vertreterin eines kommunistischen Staates galt.

Gislinde hatte das Bedürfnis eine Arbeit anzunehmen, um zumindest einen Teil von Kost und Logis bei der Familie Dow selbst zu bezahlen. Längst erledigte sie die Wäsche, putzte das Haus, kochte Mahlzeiten – und mixte Warren Dow jeden Abend seinen Martini, wenn er von der Arbeit nach Hause kam. Also machte sich Helena Dow gemeinsam mit Gislinde auf den Weg, um ein „Help Wanted“-Schild in einem chinesischen Wäscheservice gleich neben Helenas Zahnarztpraxis näher anzusehen. Gislinde wurde sofort eingestellt. Ihre Aufgabe: Herrenhemden falten und in Kartons verpacken – eine Arbeit, die ihr vertraut war aus ihrer Zeit in Aschaffenburg, wo sie genau das schon jahrelang gemacht hatte. Die Kommunikation war… bunt: Der Inhaber sprach nur Chinesisch, seine Frau sprach Chinesisch und Englisch, und die Teenager-Söhne, die nach der Schule und an Samstagen mithalfen, waren zweisprachig.

Diese Jungs mochten Linde sehr – und versuchten, ihr auch weniger salonfähige englische Begriffe beizubringen. Sie verbrachte viele Samstage bei ihnen zu Hause beim Mittagessen.

 

Bob Dow brachte ihr das Autofahren mit Schaltgetriebe bei im großen Garten hinter dem Swimmingpool der Dows, mit einem kleinen Volkswagen Karmann Ghia. Das Grundstück war uneben, mit kleinen Hügeln und Bäumen durchzogen, doch Gislinde ließ sich nicht beirren – sie lernte so gut, dass sie die Fahrprüfung bestand und ihren Führerschein erhielt.

Nach Abschluss von Daves Ausbildung in der Ranger School zogen Gislinde und er nach Fort Bragg und mieteten eine Haushälfte in einem Doppelhaus in Fayetteville, North Carolina. Die Nachbarn waren sofort begeistert von Gislinde, und die Sympathie beruhte auf Gegenseitigkeit. Linde ging oft ein paar Blocks zu Fuß zur Wäscherei und bezahlte Daves steif gestärkte Uniformen nicht selten mit einer Tasche voller Kleingeld.

Trotz der zusätzlichen 110 Dollar Gefahrenzulage im Monat, da Dave jetzt Sprungstatus hatte, musste Linde sparen.
Dave war immer wieder erstaunt, wie sie aus einfachen Zutaten wie Hotdogs und Kartoffeln ein Essen zauberte, das wie aus einem Gourmetlokal schmeckte.

Am Neujahrstag 1965 wurden sie – formell gekleidet – zusammen mit anderen Offizieren der Brigade zum Empfang ins Haus des Brigadekommandeurs eingeladen. Der Oberst begrüßte sie an der Haustür zusammen mit seiner Frau – und gab Gislinde zur Begrüßung einen herzlichen Kuss auf die Wange. Dave dachte sich in dem Moment: „Ich will definitiv Oberst werden.“ … Linde zeigte früh ihr Talent als geborene Buchhalterin und übernahm fortan die Verwaltung der gemeinsamen Finanzen – eine große Entlastung für Dave, besonders in den Jahren seiner Auslandseinsätze.

Phase B. Ende April 1965 ordnete Präsident Johnson den Einsatz amerikanischer Truppen an, um den Bürgerkrieg in der Dominikanischen Republik (DOMREP) einzudämmen. Kommunistische Rebellen hatten große Teile des Stadtzentrums unter ihre Kontrolle gebracht und die US-Botschaft bedroht. Im Rahmen von OPERATION POWER PACK wurden die gesamte 82. Luftlandedivision sowie zwei Marinebataillone (das 1st Battalion, 8th Marines und das 3rd Battalion, 6th Marines) entsendet – zusammen mit einer lateinamerikanischen Multinationalen Brigade. Insgesamt kamen bei dem Einsatz 69 amerikanische Soldaten ums Leben – darunter ein Studienkollege Daves aus West Point –, viele weitere wurden verwundet. Ein Großteil der Verwundeten wurde zur Behandlung ins Krankenhaus von Fort Bragg zurückgebracht. Gislinde meldete sich als Freiwillige beim Roten Kreuz, um bei der Versorgung der Verwundeten zu helfen – sie ging z. B. über die Stationen, verteilte Lesematerial oder kleine Snacks und brachte mit ihrer ruhigen Art Trost. Einige Monate später reiste Gislinde zurück nach Deutschland, blieb dort während der verbleibenden Einsatzzeit Daves in der DOMREP. Fünf Monate nach Beginn der Operation, nach Daves Rückkehr, kam sie wieder zurück nach Fort Bragg.

 

Dave nahm nach seiner Rückkehr den regulären Dienst in seinem Bataillon wieder auf, und Gislinde setzte ihre Freiwilligenarbeit beim Roten Kreuz fort.

Dave wurde zum Oberleutnant (1st Lieutenant) befördert – und Gislinde war es, die ihm bei der Zeremonie mit sichtlichem Stolz die Rangabzeichen ansteckte.

 

Phase C. Im April 1966 erhielt Dave den Befehl, zur Defense Language Institute (DLI) in Monterey, Kalifornien zu versetzen, um dort einen zwölfwöchigen Vietnamesisch-Sprachkurs zu absolvieren – zur Vorbereitung auf seinen Einsatz in Vietnam. Zuvor besuchten sie noch einmal die Dows, und kurz danach stellte sich – Überraschung! – heraus, dass Gislinde schwanger war.

Die Reise quer durch die USA in einem Auto ohne Klimaanlage, bei großer Hitze – etwa im Death Valley – war anstrengend. Gislinde hielt beim Fahren Zeitschriften hoch gegen die blendende untergehende Sonne, während vorbeifahrende Trucker sie anhupten und der hübschen Blondine auf dem Beifahrersitz hinterherstarrten.

Der Sprachkurs war fordernd, aber auch unterhaltsam. Dave wurde Jahrgangsbester und nahm mit seinen Kurskameraden – und gelegentlich sogar mit den vietnamesischen Lehrern – an Feiern teil. Alle schlossen Gislinde schnell ins Herz.

Nach Abschluss der Ausbildung reiste Dave nach Vietnam, wo er als Berater bei den vietnamesischen Rangern (Team 77) diente, Gislinde fuhr mit der Ehefrau eines anderen Soldaten zurück an die Ostküste.
Dabei mussten sie sich u. a. gegen einen Motelbesitzer zur Wehr setzen, der sie durch ein Loch in der Wand bespitzelte.

Zurück bei den Dows wartete Gislinde auf die Geburt des Kindes. Dave wurde dem Team 77 des Military Assistance Command  zugewiesen, das sich im Basislager der vietnamesischen Ranger in Trung Hua befand – etwa 14 Kilometer nördlich des Basislagers der 25. US-Infanteriedivision in Cu Chi.

 

Wieder dauerte es jeweils zwei Wochen, bis ihre Briefe einander erreichten. Gislinde belastete Dave nicht mit Alltagsproblemen,
und er verschwieg ihr die gefährlichsten Situationen, die er erlebte. Zum Beispiel, wie ein Scharfschütze auf ihn feuerte, und das Geschoss zwischen seinen Beinen hindurchpfiff, als er mit einer Ranger-Kompanie durch ein überschwemmtes Reisfeld vorrückte. Oder wie er nur wenige Zentimeter entfernt stand, als er zwei halb vergrabene chinesische Splittergranaten entdeckte, die miteinander verdrahtet waren, um bei Betreten zu explodieren – an einem Weg, der dicht an einem Minenfeld des Ranger-Lagers vorbeiführte.

Der liebe Gott hatte eindeutig seine schützende Hand über ihn gehalten.

Als die Geburt näher rückte, reiste Gislindes Mutter aus Deutschland an, um sie zu unterstützen.

 

Am 3. Januar 1967 wurde Dave im Ranger-Lager zum Hauptmann (Captain) befördert.
Unmittelbar nach der Zeremonie trat der Leiter des Beraterteams an ihn heran und überreichte ihm ein Telegramm des Roten Kreuzes mit der Nachricht von der Geburt seiner Tochter Eileen. Im Anschluss wurde bei Advisory Team 77 ausgelassen gefeiert – auf Daves Kosten. Zum Glück unterließen es die vietnamesischen Kommunisten (VC) an diesem Nachmittag und in der folgenden Nacht, das Lager anzugreifen oder mit Mörsern zu beschießen. Telefonate oder Funkverbindungen zwischen Gislinde und Dave waren nicht möglich – aber es wurden viele Briefe geschrieben.

  

Nach der Geburt besuchten Bob Dow und ein Fechter aus Daves West-Point-Zeit Linde im Krankenhaus. Als das Personal nur einen von ihnen zu ihr lassen wollte – und nur, wenn verwandt –, improvisierte Bob: Er sei der Vater, der Fechter ihr Ehemann. Das Gelächter der Schwestern war groß – und beide durften hinein.

  

Kurz darauf flogen Linde, Eileen und die frischgebackene Großmutter zurück nach Deutschland, in ihren Heimatort Mömlingen.

 

Für Dave wurde es im März 1967 noch gefährlicher: Die Vietcong (VC) starteten einen heftigen 82-Millimeter-Mörserangriff auf das Ranger-Lager. Dave wurde dabei am Rücken von einem Splitter getroffen –
leicht verwundet, aber sein Team-Sergeant erlitt so viele Verletzungen, dass er nicht einmal ins Krankenhaus transportiert werden konnte, um dort Röntgenaufnahmen machen zu lassen. Zwei Tage später starb er im Krankenhaus in Cu Chi. Auch unter den vietnamesischen Ranger-Soldaten und ihren Familien gab es schwere Verluste.

 

Was Dave Gislinde davon schrieb, musste er mit großer Vorsicht wählen.

  

Phase D. Als Daves Einsatz in Vietnam im Sommer endete, flog er nach Deutschland, um Gislinde und die kleine Eileen abzuholen. Gemeinsam zogen sie weiter zu seiner nächsten Station: der Army Ranger School in Fort Benning, Georgia. Dort bot man ihm die Wahl zwischen drei möglichen Einsatzorten, entsprechend den drei Phasen der Ausbildung. Anstatt am Standort Fort Benning (Basisphase) oder in Dahlonega, Georgia (Gebirgsphase) zu bleiben, entschied er sich bewusst für die dritte und letzte Phase – die Sumpfphase auf der Eglin Air Force Base nahe Fort Walton Beach, Florida.
GIslinde war auf alles vorbereitet, freute sich aber besonders auf die Vorstellung, mit Eileen ans Meer zu gehen.

 

Nach der Ankunft auf der Eglin AFB bezog die Familie Offizierswohnungen direkt auf dem Stützpunkt, umgeben von Air-Force-Familien und ein paar anderen Ranger-Haushalten. Die eingeschossigen Doppelhaushälften bildeten kleine Innenhöfe mit großzügigen Rasenflächen, auf denen die Kinder gemeinsam spielten.

  

GIslinde freundete sich schnell mit den Nachbarn an, fühlte sich wohl – und sprach mittlerweile fließend Englisch, was den Einstieg enorm erleichterte.

 

Dave, als Senior Instructor, war oft für 48-Stunden-Schichten unterwegs – mitten in den Sümpfen, teilweise bis zur Brust im Wasser, bei Nacht, mit Alligatoren und Giftschlangen in der Nähe.
Ziel war es, die Ranger-Schüler in simulierten Einsätzen gegen „Feindkräfte“ (aktive Army-Einheiten aus Fort Benning) zu bewerten.

  

Nach Abschluss einer Ausbildungsrunde und einer Debriefing-Sitzung mit dem Zugführer und dessen Stellvertreter verließ Dave allein den Sumpf, fuhr die 42 Kilometer zurück nach Hause, schlief dort ein paar Stunden, schrieb seine Berichte – und kehrte dann zurück, um das nächste Platoon zu übernehmen, das derweil ohne Schlaf oder Nahrung weiter im Gelände war.

  

Gislinde erwartete ihn am Hintereingang, bereit mit einem festen Ritual:
Er musste alle schlammigen Teile seiner Uniform ausziehen und direkt in die Waschmaschine werfen, bevor es in die bis zum Rand gefüllte Badewanne ging.
Gislinde schaute regelmäßig nach ihm – aus Sorge, er könnte im Wasser einschlafen.
Und tatsächlich schlief er dabei mehr als einmal ein.

 

Doch dann war endlich wieder „Zuhause“-Zeit – mit Ehefrau und Tochter.

 

Der Florida Panhandle ist bekannt für seine Hurrikans – und Gislinde wusste nie, wie es Dave in solchen Situationen im Sumpf gerade erging. Bei einem besonders heftigen Unwetter wurde Daves Zug von einem Blitz getroffen: Zwei Soldaten im MG-Nest starben sofort, ein weiterer lag drei Tage bewusstlos im Krankenhaus, und der Rest – Dave eingeschlossen – hatte das Gefühl, als hätte man ihnen die Füße in eine Steckdose gesteckt. Die Funkgeräte versagten, Leuchtraketen kamen wegen des Regens kaum 6 Meter weit. Der Übungsbetrieb wurde ausgesetzt, und alle sechs Ranger-Züge kehrten ins Lager zurück. Auf der Eglin AFB machte die Nachricht die Runde – aber ohne Details. Gislinde bangte mit den anderen Ehefrauen, blieb aber gefasst – bis Dave ihr schließlich alles erzählen konnte.

 

Einige der Freundschaften, die Gislinde mit den anderen Ranger-Ehefrauen in dieser Zeit schloss, hielten ein Leben lang. Zwei Anekdoten blieben ihr dabei besonders lebhaft im Gedächtnis: Beim Besuch bei Bob und Muriel Parrish erschrak sie heftig, als Bob einen kleinen Affen, den er als Haustier hielt, ihr plötzlich vors Gesicht hielt. Linde war überzeugt: Das Tier hatte sie angegriffen. Noch angespannter wurde es beim Besuch bei Lee und Clara Thompson, als Lee ihr einen Jutesack mit einer lebenden Klapperschlange in die Hand drückte. Einer der Jobs der Ranger-Ausbilder bestand nämlich darin, giftige Schlangen einzufangen, damit deren Gift für medizinische Zwecke gewonnen werden konnte.

  

Phase E: Als Dave erneut nach Vietnam versetzt wurde, plante Gislinde, mit Eileen nach Mömlingen zurückzukehren. Sie mietete eine kleine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in der Nähe des Ortszentrums – mit dem Luxus eines kleinen Holzofens und eines Kühlschranks – in fußläufiger Entfernung zu ihrem Elternhaus und den Geschäften in der Innenstadt. Glücklicherweise war der Wechselkurs zwischen D-Mark und US-Dollar damals sehr günstig (etwa 4:1), sodass sie sich um ihre Finanzen keine Sorgen machen musste.

Für Eileen war das Fehlen moderner US-Annehmlichkeiten kein Problem. Sie genoss es, Zeit mit ihren Cousins zu verbringen, was Gislinde gleichzeitig eine willkommene Entlastung bot – besonders, wenn Cousin Hermann und dessen Freund Johnny sie beim Spazierengehen zwischen sich hin- und herschwangen oder sie neckten, sie hätten ihre Unterwäsche gesehen (was sie energisch abstritt). Fast jedes Mal machten sie auf dem Rückweg einen Stopp beim Metzger, wo Eileen eine Scheibe Weißwurst bekam. Wie zuvor dauerte es rund zwei Wochen, bis Briefe zwischen Gislinde und Dave eintrafen.

  

Phase F. Nach der Rückkehr in die Militärunterkünfte in Fort Benning wurde Eileen zunächst von den anderen Kindern gehänselt, da sie kein Englisch sprach – bis Gislinde ihnen erklärte, dass ihre Tochter Deutsch spreche. Es dauerte nicht lange, bis Eileen wieder in die englische Sprache hineinfand.

 

Phase G: Gislinde verstand sich hervorragend mit den Ehefrauen von Daves Kommilitonen im OR-Studiengang – ein Ehepaar wohnte sogar nur zwei Häuser entfernt. Die Frauen passten regelmäßig wechselseitig auf die Kinder auf. Während dieser Zeit brachte Gislinde ihre zweite Tochter, Katya, zur Welt.

Als sie noch im Krankenhausbett lag, teilte Dave ihr mit, dass er die Geburtsformulare bereits ausgefüllt habe – und sie korrigierte ihn umgehend, weil er den Namen mit „Katya“ statt mit dem deutschen „Katja“ eingetragen hatte. Dave war der Meinung, „Katja“ würde in amerikanischen Schulen zu Ausspracheschwierigkeiten führen. Doch die Entscheidung war gefallen – und seitdem blieb es bei „Katya“ (oder „Katch“ oder „Dah Dats“, Spitznamen von Nachbarskindern, die Dave bis heute verwendet).

 

Phase H. Gislinde baute enge und teils lebenslange Freundschaften mit den anderen Frauen im Treppenhaus auf. Als sich das Personal im Laufe der Zeit änderte, wuchs auch ihr Freundeskreis weiter an.

Sie organisierte ein großartiges Fest zu Daves Beförderung zum Major. Da die Wohnung jedoch nicht genügend Platz für alle Gäste auf einmal bot, wurde die Feier in Etappen abgehalten. Während der Vorbereitung für die erste Gruppe fing der Grill plötzlich Feuer. Dave brachte ihn geistesgegenwärtig ins Treppenhaus – doch der dort aufgetragene Wachs fing ebenfalls Feuer. Erst einige nasse Handtücher konnten die Situation retten. Gislinde blieb dabei gelassen – ganz Gastgeberin, wie man sie kannte.

 

Phase I. Auf dem Stützpunkt entwickelte Gislinde auch enge Freundschaften mit den Nachbarn. Ein Ehepaar, das bereits mit ihnen im Ranger-Ausbildungslager in Florida gewesen war, wohnte ebenfalls dort. Die Frau war berühmt für ihre Pekingente, bei deren Zubereitung sie eine Luftpumpe benutzte, um die Haut vom Fleisch zu lösen. Das Highlight war jedoch, vor dem Kochen „Hummer-Rennen“ quer über die Küchenfliesen zu veranstalten – wobei der Gewinner des Rennens letztlich doch im Topf landete. Eines Tages wurden zwei Schäferhundwelpen beobachtet, wie sie Katya rund ums Haus jagten. Anfangs sah es spielerisch aus – doch als sie nochmals vorbeiliefen und man den Schrecken in Katyas Gesicht sah, sprang ein Nachbar sofort ein und verhinderte Schlimmeres.

  

Phase J. Nach der Ankunft in Fort Wainwright, nahe Fairbanks (Alaska), wurde der Familie eine Wohnung auf dem sogenannten North Post zugewiesen – in direkter Nachbarschaft zum Standortkommandanten, zur Kapelle, zum Offiziersclub und weiteren 12-Parteien-Offiziersgebäuden. Ihr Wohnblock verfügte über einen gemeinsam nutzbaren Keller, ähnlich wie früher in Heidelberg. So konnten die Bewohner ihre Nachbarn besuchen, ohne sich in den arktischen Winter anziehen zu müssen. Jede Wohnung hatte eine Steckdose für die Blockheizung des Autos – unerlässlich bei Temperaturen bis zu -56 Grad Celcius. Als diese Steckdose einmal wegen Überlastung durch einen Mitbenutzer ausfiel, platzte die Batterie ihres Autos. JC Penney in Fairbanks profitierte davon – es musste schnell Ersatz her. Gislinde mahnte die Mädchen stets, die Luft anzuhalten, bis sie sicher im Schulbus saßen. Ein Verbindungsrohrleitungstunnel am Ende des Kellers führte zur Kapelle, zum Offiziersclub, zur Unterkunft des Kommandanten sowie zu den anderen Gebäuden – eine wettergeschützte Verbindung, die einige sogar als Laufstrecke nutzten. Die Skipiste auf dem Stützpunkt war offen, solange es nicht kälter als -34 Grad Celsius war. Im Winter konnte Gislinde diese in wenigen Minuten erreichen – im Rest des Jahres dauerte der Weg über 30 Minuten. Der Zugang erfolgte über eine Eisbrücke, die von Pionieren errichtet wurde, indem sie Löcher in den Fluss Cheena bohrten, durch die Wasser aufstieg und sich zu einer immer dickeren Fahrbahn formte – sogar panzertauglich. Gislinde und die Mädchen verbrachten viele vergnügliche Abende auf dieser Piste.

  

Phase K. Gislinde verstand sich bestens mit den anderen Frauen im Bataillon. Freitagnachmittags rief der Bataillonskommandeur regelmäßig „Trainingsbesprechungen“ im Offiziersclub aus – im Anschluss kamen die Ehefrauen dazu, und man saß bei Essen und Getränken zusammen. So entstand regelmäßiger Kontakt – auch über Wohnortgrenzen hinweg.

Gislinde und Dave fanden Gefallen an der protestantischen Kapellengemeinde des Stützpunkts. Der Kaplan und seine Frau wurden über die Jahre enge Freunde.

Kurz vor dem Ende des Gottesdienstes half Gislinde oft in der Küche bei der Essensausgabe. In der ersten Hälfte ihres Aufenthalts konnten Reste – etwa von Truthahnbraten – an das Brother-Francis-Shelter gespendet werden. Später wurde dies leider verboten – aus hygienischen Gründen verständlich, aber dennoch bedauerlich.

  

Als Dave zum Oberstleutnant befördert wurde, organisierte und kochte Gislinde erneut für die Gäste aus dem Bataillon – ihre Spezialität.

 

Zusätzlich unterstützte sie Dave dabei, Porträts der Gottesdienstbesucher aufzunehmen und mit Namen versehen in einem großen Album am Eingang der Kapelle auszustellen – unter Plexiglasscheiben, die sich wie ein Buch umblättern ließen.

  

Phase L. Gislinde fand große Freude an ihrer Arbeit in einer kleinen Arztpraxis in Bethesda, in einem Team von drei Personen. Die Patienten waren begeistert von ihrer herzlichen Art – sie kannte sie alle mit Namen. Die dort gemachten Erfahrungen sollten ihr auch später im Leben noch von Nutzen sein.

 

Phase M. Während Eileen die High School besuchte und Katya in die Middle School kam, fühlte sich Gislinde wohl dabei, die beiden nachmittags allein zu lassen, bis sie von der Arbeit heimkam. Als Katya und zwei Nachbarsmädchen eines Tages auf die Idee kamen, sich gegenseitig die Haare zu schneiden, blieb Gislinde ruhig und gelassen. Ebenso akzeptierte sie Daves regelmäßige Abwesenheit – zweimal die Woche nahm er Säbel-Unterricht und startete an Fechtturnieren an den Wochenenden.

  

Phase N. Eileen war zum Studium an die University of Alaska in Fairbanks gegangen und kam jeweils zweimal im Jahr in den Ferien nach Hause. In den Winterferien verließ sie Fairbanks meist bei minus 42 Grad Celsius und landete in Panama bei plus 35 Grad. Dave gab ihr gewöhnlich 48 Stunden Eingewöhnung, bevor er sie wieder zum Joggen mitnahm. Katya hätte normalerweise bereits auf die High School gehen sollen (wie zuvor in Nord-Virginia), aber das Militärschulsystem in Panama behandelte Neuntklässler noch als Schüler der Mittelstufe.

 

Einmal, als Gislinde und Katya gerade den Strand an der Atlantikküste genossen, nahm Dave Eileen (die in der ROTC-Organisation an der Universität war) mit auf einen Orientierungsmarsch durch den Dschungelkurs der Jungle School – die Schule war zu dem Zeitpunkt nicht im Betrieb. Dave lief voraus und achtete auf mögliche Buschmeister (die beiden wären im Ernstfall weit entfernt von Hilfe gewesen), während Eileen mithilfe ihres Kompasses die Richtung vorgab. Am Ende landeten sie auf der Straße zur Schule und liefen zum Strand zurück. Der Wachposten am Eingang der Schule war einigermaßen schockiert, als zwei völlig verschwitzte Gestalten aus dem Dschungel auftauchten und auf ihn zumarschierten. Gislinde erklärte beide kurzerhand für verrückt.

Phase O. Der Club der Offiziersfrauen versuchte, Gislinde erneut als Vorsitzende für die nächste lateinamerikanische Wohltätigkeitsauktion zu gewinnen – einstimmig, da alle der Meinung waren, sie habe einen fantastischen Job gemacht. Doch Gislinde war schlicht ausgebrannt.

  

Phase P. Gislinde fand eine Anstellung in einer Walk-in-Klinik in Brandon, Florida – hauptsächlich als Empfangskraft an der Rezeption. Sie schloss dort lebenslange Freundschaften mit einigen ihrer Kolleginnen.

 

Phase Q. Auch ihre Beziehung zu Arzt und zwei Kolleginnen entwickelte sich zu einer tiefen, bleibenden Freundschaft. Als Gislinde die Klinik verließ, trat ihre Tochter Eileen ihre Nachfolge an – und man wusste: Eileen würde es genauso gut machen wie ihre Mutter.

  

Phase R. Gislinde hatte die Weichen für den Kauf eines Hauses in Tampa bereits gestellt. Der Makler war so beeindruckt von ihr, dass er sich mit einer bescheidenen Anzahlung zufriedengab – mit dem Versprechen, dass sie das Geld zurückbekomme, falls Dave die Stelle nicht bekäme.

 

Phase S. Die Jahre 2024 und der Beginn von 2025 waren besonders schwer für Gislinde. Nach ihrer Teilnahme an Daves 60-jährigem Klassentreffen in West Point entwickelte sie einen hartnäckigen Husten. Der Hausarzt vermutete eine Lungenentzündung und verschrieb Antibiotika. Dies zog sich über Monate hin – inklusive Röntgenuntersuchung der Lunge im Baptist Clay Hospital im Februar 2025 –, bis man sie endlich an einen Lungenfacharzt überwies. Letztlich wurde eine Serie von Biopsien an einer großen Raumforderung in ihrer linken Lunge angesetzt. Gislinde lag bereits verkabelt auf einer Liege im Krankenhaus, als die leitende Krankenschwester erschien und verkündete, dass der Arzt sich weigere, die Biopsien ohne eine vorherige PET-Untersuchung durchzuführen. Gislinde wurde entkabelt und wieder nach Hause geschickt.

Fast zwei Wochen vergingen, bevor die PET-Untersuchung erfolgen konnte – angeblich wegen Lieferproblemen mit den erforderlichen Chemikalien. Weitere zehn Tage danach, ohne Nachricht zu den Untersuchungsergebnissen, riefen Dave und Gislinde mehrmals verzweifelt in der Praxis an – ohne Rückmeldung. Schließlich erhielten sie den Bericht direkt vom Radiologen – nichts jedoch von der Lungenarztpraxis. Der Radiologe hatte festgestellt, dass der Lungenkrebs bereits in andere Organe gestreut hatte. Ein befreundeter Onkologe bestätigte, dass Gislinde wahrscheinlich nur noch eine Woche bis maximal sechs Monate zu leben hatte.

Zwei Wochen später, kurz vor 3 Uhr morgens am 7. Mai 2025, starb Gislinde – umgeben von Dave, Eileen, Katya, Katyas Ehemann Gary sowie ihren Enkeln Jordan und Christian.

  

Noch Wochen nach ihrem Tod erhielt Dave weiterhin Anrufe aus der Lungenarztpraxis, um neue Termine für Gislinde zu vereinbaren. Jedes Mal antwortete Dave: „Sie ist gestorben…“

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